Papierblatt – Holocaust-Überlebende berichten

»Es brennt!« – und der Widerstand?

Dieses Lied wurde am Gedenkabend in Berlin zum 80. Jahrestag der Reichspogromnacht vorgetragen.

Ein Unterrichtsbaustein anlässlich der antisemitischen Angriffe im Oktober 2019 in Halle und Berlin. Entsprechende Zeitungsartikel, Nachrichteninformationen, Podcasts u.a. können eingeflochten werden. Von Schuldekan Thorsten Trautwein und Timo Roller, 14.10.2019 (Update)

Der Unterrichtsbaustein zum Download: »Es brennt!« (PDF-Dokument mit Liedtext und Aufgaben zum Ausdrucken, 3 Seiten, 52 kB).

Text und Melodie von Mordechaj Gebirtig (4. April 1877 – 4. Juni 1942); polnischer Jude, der in Krakau lebte; Tischler, Dichter und Komponist. Vorgetragen von Yoed Sorek.

Aufgabe 1: Lied anhören (Einzelarbeit)

Wir hören gleich ein Lied in einer eigentümlich klingenden Sprache. Es ist nicht Deutsch und doch enthält sie viele deutsche Wörter, teilweise in leichter Abwandlung. Höre dir das Lied an:

0:00:44-0:04:08

a) Versucht so viel wie möglich zu verstehen und herauszufinden, wovon das Lied handelt.

b) Beschreibt bzw. charakterisiert die Stimmung des Liedes.

Aufgabe 2: Vergleich der Ergebnisse in Partnerarbeit

Aufgabe 3: Im Unterrichtsgespräch werden die Entdeckungen gesammelt

a) Raum für Empfindungen und Gefühle geben

b) Klärung: Was brennt? Schtetl. Was ist »Jiddisch?«

c) Vermutung: Wann, wo und in welchem Kontext könnte das Lied entstanden sein?

Aufgabe 4: Erneutes Anhören des Liedes mit dem Textblatt Deutsch-Jiddisch, mit den einleitenden Worten des Sängers

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(Der Text ist auf dem verlinkten PDF zu finden und auch unten auf dieser Seite.)

a) Raum für Empfindungen und Gefühle geben

b) Klärung weiterer unbekannter Begriffe

Aufgabe 5: Textarbeit (Partnerarbeit)

a) Die Situation – Was geschieht?

b) Der Lieddichter – Wer könnte er sein? Was empfindet er?

c) Die »Brüder« – Was erfahren wir über sie?

d) Die Botschaft – Was will der Dichter mit seinem Lied erreichen?

Der geschichtliche Hintergrund

Mordechai Gebirtig, der Dichter des Liedes, lebte in Polen, in der Stadt Krakau. In Krakau lebten damals viele Juden. Sie wohnten v.a. in einem Stadtviertel, in dem es ein vielfältiges jüdisches Leben gab. Die Stimmung war damals jedoch immer wieder gegen Juden eingestellt, sodass es hin und wieder zu sog. Pogromen kam; das sind gewaltvolle Ausschreitungen gegen Juden, bei denen jüdischer Besitz zerstört und Juden verletzt oder sogar ermordet wurden. Als es 1938 in Krakau zu einem solchen Pogrom gekommen ist, haben sich einige Juden gewehrt. Daraufhin wurde ihnen der Prozess gemacht. Gebirtig hat das beobachtet und daraufhin sein Lied geschrieben.

Untersucht, inwiefern das, was ihr aus dem Text herausgearbeitet habt, zum geschichtlichen Hintergrund des Liedes passt und inwiefern nicht.

Die »prophetische« Bedeutung des Liedes

Dem Lied wurde später eine geradezu »prophetische« Bedeutung zugeschrieben. Ein Jahr später, am 1. September 1939, begann der Zweite Weltkrieg mit dem deutschen Einmarsch in Polen. Es folgte der Holocaust, dem auch Mordechaj Gebirtig zum Opfer fiel. Er wurde am 4. Juni 1942 im Ghetto Krakau von einem deutschen Soldaten erschossen.

a) Beschreibt, wie das Lied bereits spätere Ereignisse des Holocaust beschreibt.

b) Diskussion über die Bedeutung des Liedes für uns heute.

Die sogenannten Zuschauer

In dem Lied nicht erwähnt sind die nichtjüdischen Menschen, die zugeschaut haben.

Nimm Stellung zur Aussage: »Schlimmer als die wenigen bösen Menschen, sind diejenigen, die nichts tun.«

Eine jüdische Perspektive

Yoed Sorek wurde 1980 in Jerusalem/Israel geboren. Er ist ein jüdischer Sänger, der mittlerweile in Deutschland lebt.

Höre dir noch einmal an, was Sorek vor seinem Liedvortrag sagt: 0:00:10-0:00:43

Die Aufnahme stammt von November 2018. Kaum ein Jahr später, im Oktober 2019, gab es einen Anschlag auf die Synagoge in Halle/Deutschland. Ein Mann wollte am Ende des jüdischen Feiertags Jom Kippur in die Synagoge eindringen und Juden ermorden. In der Synagoge feierten zu dieser Zeit 80 bis 90 Menschen den Gottesdienst zum Abschluss des größten jüdischen Feiertages, das mit einem eintägigen Fasten verbunden ist. Da die Sicherheitstür standhielt, blieben die Feiernden unversehrt. Stattdessen erschoss der Täter zwei Unbeteiligte auf der Straße und verletzte zwei weitere.

Yoed Sorek äußert sich folgendermaßen zu dem Anschlag auf die Synagoge in Halle:

»Am Abend nach Jom Kippur – um 19:34 Uhr – wurde in unserer Synagoge das Schofar-Horn geblasen: Das Fasten war zu Ende, 25 Stunden ohne zu essen und zu trinken. Ich selbst hatte davon etwa 7 Stunden lang gesungen. Wir umarmten uns, wünschten uns Freude und Frieden: Unsere geistige Kraft hatte über die physischen Bedürfnisse gesiegt.

Wenige Minuten danach hat uns ein Gemeindeglied von dem Blutbad in Halle mit zwei Toten berichtet! Nun strömten wir und viele Juden in Deutschland aus unseren Synagogen und hatten Angst. Was, wenn auch auf uns ein Mörder wartet?

Aber draußen sahen wir Menschen, die gekommen waren, um ihre Solidarität und ihre Unterstützung zu zeigen. Das war am 9. November 1938 (am Tag der »Reichspogromnacht«) nicht der Fall!

Ja, auch ich hatte und habe Angst, aber Angst kann ganz gesund sein. Man kann drei Dinge tun, wenn man Angst hat: fliehen, in Schockstarre verharren – oder rausgehen und kämpfen. Ich habe mich für den Kampf entschieden – und meine Waffen sind: Liebe und Gesang!« (aus: E-Mail von Yoed Sorek an Timo Roller, 11.10.2019)

a) Untersuche, was Sorek übe »Angst« schreibt und was ihm bei der Bewältigung seiner Angst hilft.

b) Recherchiere über die Sicherheitslage der Juden in Deutschland.

c) Ziehe aus dem bisher Erarbeiteten die Konsequenzen, die sich für unsere Gesellschaft und für dich persönlich ergeben können, damit Juden in Deutschland in Frieden und Sicherheit leben können.

Weitere Vertiefung

Der Sänger Yoed Sorek bietet ein musikalisches Zeitzeugenprojekt für Schulen an, das er seiner Großmutter Sima Skurkovitsh gewidmet hat. Man kann Kontakt mit ihm aufnehmen.

Auch mit den zahlreichen Zeitzeugen-Berichten unseres Papierblatt-Projekts und den ausgearbeiteten Unterrichtsentwürfen können die Themen »Holocaust«, »jüdisches Leben« und »Antisemitismus« weiter vertieft werden.

Text auf Jiddisch Text auf Deutsch
1. Es brent Brider es brent
Oj unser orem Schtetl nebech brent
Bejse Windn mit Irgosen
Rajssn brechen un zeblosn
Schtarker noch di wilde Flamn
Alz arum schojn brent
1. Es brennt Brüder, es brennt
Unser armes Städtchen brennt
Böse Winde wehen
reißen und blasen
Die Flammen werden stärker
Alles herum brennt
Un ir schtejt an kukt asoj sich
– mit farlejgte Hent
Un ir schtejt an kukt asoj sich
– unser Schtetl brent
Und Ihr steht und schaut herum
– mit verschränkten Armen
Und Ihr steht und schaut herum
– unser Städtchen brennt
2. Es brent Brider es brent
Oj unser orem Schtetl nebech brent
S hobn schojn di Fajerzungn
Dos ganze Schtetl ajngeschlungn
Un di bejse Windn huschn
S ganze Schtetl brent
2. Es brennt Brüder, es brennt
Unser armes Städtchen brennt
Es haben schon die Feuerzungen
Das ganze Städtchen umschlungen
Und böse Winde fegen
Das ganze Städtchen brennt
Un ir schtejt an kukt asoj sich
– mit farlejgte Hent
Un ir schtejt an kukt asoj sich
– unser Schtetl brent
Und Ihr steht und schaut herum
– mit verschränkten Armen
Und Ihr steht und schaut herum
– unser Städtchen brennt
3. Es brent Brider es brent
Oj es kon cholile kumn der Moment
Unser Schtot mit uns zusamn
Sol ojf Asch awek in Flamn
Blajbn sol – wi noch a Schlacht
Nor pusste schwarze Went
3. Es brennt Brüder, es brennt
Es könnte der Moment kommen
Dass unsere Stadt – und wir mit ihr –
Zu Asche wird durch die Flammen
Wie nach einer Schlacht werden nur
Schwarze Wände übrigbleiben
Un ir schtejt an kukt asoj sich
– mit farlejgte Hent
Un ir schtejt an kukt asoj sich
– unser Schtetl brent
Und Ihr steht und schaut herum
– mit verschränkten Armen
Und Ihr steht und schaut herum
– unser Städtchen brennt
4. Es brent Brider es brent
Di Hilf is nor in ajch alejn gewent
Ojb dos Schtetl is ajch tajer
Nemt di Keilim lescht dos Fajer
Lescht mit ajer ejgn Blut
Bawajst as ir dos kent
4. Es brennt Brüder, es brennt
Nur Ihr könnt euch selbst helfen
Wenn Euch das Städtchen lieb ist
nehmt Eimer und löscht das Feuer
Löscht es mit dem eignen Blut
Beweist, dass Ihr das könnt
Schtejt nit Brider ot asoj sich
– mit farlegte Hent
Schtejt nit Brider lescht dos fajer
– unser Schtetl brent
Steht nicht Brüder nur herum
– mit verschränkten Armen
Steht nicht Brüder löscht das Feuer
– unser Städtchen brennt

Quelle: http://www.hagalil.com/klezmer/nizza/texte/brent.htm (11.10.2019).