Papierblatt – Holocaust-Überlebende berichten

Kapitel 13.2

KZ Auschwitz (später: KZ Auschwitz I-Stammlager)

Am 27. April 1940 ordnete Heinrich Himmler den Bau eines Konzentrationslagers im polnischen Ort Oswiecim für zunächst 10.000 Häftlinge an – das Konzentrationslager Auschwitz.1 Man brauchte ein neues Lager für polnische politische Häftlinge und Widerstandskämpfer, da die bestehenden Gefängnisse überfüllt waren. Die Ortswahl fiel auf Oswiecim, wo es eine ehemalige polnische Kaserne gab. Der Ort und das Lager erhielten den deutschen Namen »Auschwitz«. Auschwitz lag verkehrstechnisch günstig an den Bahnlinien Richtung Wien/Prag, Krakau und Kattowitz/Warschau/Berlin. Es hatte somit eine Anbindung an ganz Europa. Die Umgebung war dünn besiedelt und die Flussläufe der Weichsel und Sola schotteten die Anlage ab. Flucht und Einblick waren erschwert. Auschwitz war das erste deutsche Konzentrationslager im Gebiet der Zweiten Republik Polen. Allerdings wurde Oberschlesien schon bald dem Deutschen Reich unmittelbar eingegliedert (1941 – 1945 als Provinz Oberschlesien). Oberschlesien war die bedeutendste Industrieregion Polens mit Steinkohlebergbau und Schwerindustrie.2
Die SS und allen voran Lagerkommandant Rudolf Höß setzten jedoch Pläne um, die über ein bloßes Internierungslager weit hinausgingen und landwirtschaftliche Produktion und Forschung umfasste. Dafür benötigten sie weiteres Gelände, das sog. SS-Interessengebiet zwischen Weichsel und Sola.3 Auf einer Fläche von 40 Quadratkilometern entstanden vielfältige landwirtschaftliche Versuchsanlagen für Pflanzen-, Geflügel- und Fischzucht. Dafür wurden die polnischen Dörfer und Gehöfte, die in diesem Gebiet standen, beschlagnahmt, »abgesiedelt« und die polnischen und jüdischen Bewohner »umgesiedelt«.

Abbildung 1: Karte Interessengebiet Auschwitz, ca. 40 qkm; Ausbauzustand 1944.

Am 20. Mai 1940 erreichten die ersten Häftlinge das Konzentrationslager Auschwitz. Es waren 30 deutsche Häftlinge aus dem KZ Sachsenhausen, die als sog. Funktionshäftlinge (z.B. Kapos) für die polnischen Häftlinge »verantwortlich« waren. Damit übernahmen Häftlinge die unmittelbare Aufsicht über andere Häftlinge. Unter den polnischen politischen Häftlingen befanden sich auch Juden. Häftlinge aus anderen Ländern kamen hinzu. Die größte Gruppe bildeten jedoch ab Sommer 1941 die sowjetischen Kriegsgefangenen.4
Auf einer Fläche von 20 ha wurden zwischen 12.000 und 20.000 Menschen inhaftiert. Die Verhältnisse im Lager waren von Anfang an katastrophal. Die Häftlinge erhielten weder eine ausreichende noch eine ausgewogene Ernährung. Unter- und mangelernährt mussten sie harte Zwangsarbeit verrichten, zu der vor allem der weitere Ausbau des Lagers und seine Unterhaltung gehörte. Bei der Zwangsarbeit waren sie der Willkür ihrer Kapos und der SS ausgeliefert; hinzu kamen Krankheiten. Eine hohe Sterberate war die Folge.5

Abbildung 2: Auschwitz I-Stammlager, Lagerplan, Ausbauzustand 1944; b – Lagertor; schwarzer Pfeil – Block 18.

Seit Sommer 1941 experimentierte die SS mit Giftgas als Tötungsmittel. Im August 1941 begann SS-Hauptsturmführer Karl Fritzsch Zyklon B, das im Lager als Schädlingsbekämpfungsmittel verwendet wurde, bei der Ermordung von Menschen einzusetzen; Anfang September 1941 erstmals in großem Stil: ca. 250 kranke polnische Häftlinge und ca. 600 sowjetische Kriegsgefangene wurden im Keller von Block 11 ermordet (vgl. Abb. 2 »u«). Ab Herbst 1941 fanden die Ermordungen in der Leichenhalle des Krematoriums statt (vgl. Abb. 2 »g«).

Ein neues Kapitel begann Anfang 1942 mit dem Beschluss zur sog. »Endlösung der Judenfrage«. Ab März 1942 trafen Juden aus der Slowakei und Frankreich, dann auch aus den Niederlanden und Belgien ein. Zum ersten Mal waren auch Frauen, dann Kinder unter den Häftlingen. In der Folge wurden die ersten Selektionen durchgeführt, bei denen arbeitsfähige von nicht arbeitsfähigen Menschen getrennt wurden. Zu den Arbeitsunfähigen gehörten Alte, Kranke, Menschen mit Behinderungen, Kinder und Frauen mit Kindern, auch Schwangere. Sie wurden unmittelbar der Ermordung zugeführt. Ab Juli 1942 wurde jeder Transport einer Selektion unterzogen. Ort der Selektionen war der Ankunftsort der Deportationszüge beim ehemaligen Güterbahnhof von Auschwitz (vgl. Abb. 1 »Entladerampe«).

Für die Frauen wurde im Stammlager ein eigenes Frauenlager eingerichtet (Blöcke 1 – 11; in Abb. 2 ist das die unterste, südöstliche Blockreihe), das durch eine Mauer vom Männerlager getrennt war. Als Funktionshäftlinge wurden zunächst 1.000 nichtjüdische, weibliche Häftlinge aus dem Frauen-KZ Ravensbrück nach Auschwitz gebracht.

Im November 1942 wurden Juden aus dem Gebiet des Deutschen Reichs nach Auschwitz deportiert, ebenso weitere polnische Juden.

Mordechai Papirblat war vom 13. Juli bis Januar 1943 als Häftling im Stammlager.

Vgl. Mordechai Papirblat, 900 Tage in Auschwitz, 2020, S. 133 – 200.

Die heutige Gedenkstätte lässt sich als virtuelle 360°-Tour besichtigen (Englisch): http://panorama.auschwitz.org/tour1,en.html. Es sind zahlreiche Informationen und Zeitzeugenberichte hinterlegt, ebenso Karten- und Bildmaterial.

Zum ganzen Kapitel:
Auschwitz-Birkenau State Museum (Hg.), Texte: Jaroslaw Mensfelt, Rundgang durch die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, Oswiecim 2018.
Das KZ Auschwitz 1942 – 1945 und die Zeit der Todesmärsche 1944/45, bearb. von Andrea Rudorff, VEJ 16, Berlin/Boston 2018.
Rainer Höß, Das Erbe des Kommandanten, aufgezeichnet von Petra Schnitt und Jörn Voss, München 2013.
Laurence Rees, Auschwitz. Geschichte eines Verbrechens, 7. Aufl., Berlin 2018.
Nikolaus Wachsmann, KL. Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, bpb Schriftenreihe Bd. 1708, Bonn 2016.
http://auschwitz.org/en/ (04.01.2019).
https://de.wikipedia.org/wiki/KZ_Auschwitz (04.01.2019)
https://de.wikipedia.org/wiki/Interessengebiet_des_KZ_Auschwitz (03.01.2020).

1Auf die Organisationsstruktur, Verwaltung usw. der Lager sowie auf Frauenlager, Euthanasie, medizinische Experimente o.ä. kann hier nicht eingegangen werden; siehe dazu die am Ende des Kapitels genannte Fachliteratur.
2https://de.wikipedia.org/wiki/Oberschlesisches_Industriegebiet (27.12.2019).
3Abb. 1: Walké (deutsche Bearbeitung: Maximilian Dörrbecker, Chumwa), eigenes Werk, 2007, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Karte_Auschwitz.svg (03.01.2020).
4Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Deutsch-Sowjetischer_Krieg (03.01.2020).
5Abb. 2: Lagerplan Auschwitz I-Stammlager, HEROMAX, eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Auschwitz1b.png (03.01.2020). Die Richtung des schwarzen Pfeils (Abb. 2) entspricht der Aufnahmeperspektive von Kap. 12.3 Abb. 1.

Autor: Thorsten Trautwein, 06.06.2020