Interview am 29. April 2022 in Maisenbach, Deutschland
Ada Waits und Alex Shiber wuchsen als Kinder von Ella und Emanuel Shiber auf. Sie erzählen von ihren Familienangehörigen, die den Krieg erlebt haben. Im Buch "Erinnerungen aus dunkler Vergangenheit" sind die Bilder und die Geschichte der Familie Shiber festgehalten.
Ada und Alex Shiber werden über ihre Eltern, die den Holocaust überlebt haben, erzählen. Es wurde ein Buch mit den Zeichnungen der Erlebnisse ihrer Mutter Ella veröffentlicht.
Thorsten Trautwein zeigt Bilder von der Familie des Vaters der beiden, Immanuel. Sie haben Glück, ein solches Bild zu besitzen, da solche nicht vielen Überlebenden verbleiben. Immanuel ist der einzige Überlebende der Familie. Drei Familienmitglieder wurden durch die Ukrainer getötet. Immanuels Bruder Liber, der an einer zionistischen Bewegung teilnahm, wurde mit anderen Gegnern des Regimes eingemauert und erstickte. Später musste sein Vater Schmuel die Leiche abholen. Nach dem Abschluss des Technikums kam Immanuel auf seinem Weg nach Israel nach Rumänien. Dort wurde er von den Russen aufgehalten und zur Roten Armee geschickt. Er traf seinen Vater Schmuel im Zug und in diesem Moment fiel die erste Bombe auf ihre Heimatstadt Lwiw, weshalb sie nicht wussten, was mit ihrer Familie geschehen ist. Adas Vater erzählte ihr später, wie seine Schwester gestorben ist: Als die Deutschen kamen floh sie auf den Kamin, wurde jedoch erwischt und heruntergezogen. Die ganze Familie wurde mit den anderen Juden später mit Hilfe der Ukrainer im Wald erschossen. Immanuel erfuhr dies erst nach Kriegsende, doch der Zutritt zu seinem Elternhaus wurde ihm verwehrt. Alles, was er mitnehmen konnte, waren diese Bilder.
Alex erzählt, dass er seinen Großvater Joshua – den Vater seiner Mutter – nie kennenlernte, da dieser mit seinem Sohn Leo in Auschwitz umgebracht wurde. Alex’ Großmutter überlebte dank Mutter Ella, die zeichnete und dafür verschont wurde. Alex lebte bis er 18 Jahre alt war mit seiner Großmutter zusammen, die ihm Jiddisch beibrachte, kochte und der Mutter mit allem half. Sie ist eine wunderbare, humorvolle Frau gewesen, erzählt Ada. Und brachte den Geschwistern viele Lieder bei. Sie war die »Hauptperson« der Familie und der ganzen Verwandtschaft. Vom Großvater Joshua existiert nur ein Bild, das wohl in Auschwitz aufbewahrt wurde. Er war 15 Jahre älter als seine Frau, russisch und besuchte Verwandtschaft in Bedzin, als er Ella traf und sie mit nach Berlin zu einem weiteren Teil seiner Familie nahm. In Berlin arbeitete er als Schneider und wurde durch Pelzverkauf sehr wohlhabend. Durch den großen Altersunterschied zu seiner Frau wurde er mit seinem Sohn Leo direkt ins Krematorium (bzw. in die Gaskammern) gebracht. Leo lehnte das Angebot eines deutschen Soldaten ab, sein »Spieljunge« zu werden und ging mit seinem Vater. Mutter und Schwester sahen die beiden nie wieder.
Ada erzählt vom Schlaganfall ihrer Mutter Ella, die nie viel von ihren schrecklichen Erfahrungen berichtete, sondern immer fröhlich war, doch ihr letzten Worte waren: »Ich sehe meine Kinder in Auschwitz verbrennen.« Bis heute vermissen sie ihre Kinder.
Thorsten Trautwein zeigt ein Bild der Hochzeit von Immanuel und Ella, die 1946 in Bitkusch heirateten. Sie lebten ihr ganzes Leben zusammen und nach Ellas Tod investierte Immanuel sein ganzes Leben in ihre Erinnerung. Er arbeitete erst als Offizier, dann als Rechtsanwalt. Alex fing an, bei ihm zu arbeiten und heute arbeitete er wiederum mit zwei seiner Kinder zusammen. Ella blieb meistens zu Haue, studierte aber später noch Kunst und arbeitete als Zeichenlehrerin. Ellas Mutter lebte bis zu ihrem Tod mit der Familie zusammen und schlief sogar mit Ada im Bett. Ada lernte Liebe und Hingabe von ihren Eltern, weshalb sie später auch ihre kranke Schwiegermutter bei sich wohnen ließ.
Alex erinnert sich noch gut an seine Mutter, als sie schon älter war. Er war der kleine verwöhnte Sohn, der sich hinter ihr versteckte. Die älteren Geschwister waren schon aus dem Haus, weshalb er immer bei ihr war, bis er mit 18 Jahren zum Militär ging. Sie waren eine sehr lustige Familie und die älteren Geschwister ärgerten gerne Alex. Alex und Ada hatten eine glückliche Kindheit, bekamen aber erst durch die Zeichnungen mit, was die Eltern durchgemacht hatten. Ada begriff allerdings erst, als sie selbst Mutter war, was ihre Mutter eigentlich durchmachte. Durch das Album mit den Zeichnungen wissen Ada und Alex etwa, was passierte, doch nicht, wie die Mutter dabei fühlte und sie kennen auch nicht die chronologische Abfolge der Geschehnisse oder genaue Details über das Leben ihrer Eltern. Die Großmutter war gern in Bedzin und brachte koffervoll teure Geschenke für die Verwandten. Dies und vieles anderes erfuhr Ada von einer Verwandten aus Bedzin, die sie »Tante Eva« nannten. Doch weder Elli noch Rosa sprachen viel über ihre Lebensgeschichten.
Ada und Alex hatten nur wenige Verwandten außerhalb von Israel, die den Holocaust überlebten.
Thorsten Trautwein zeigt eine Zeichnung von Elli, auf der auch Ellis Schwester Berta abgebildet ist. Bronja, eine Cousine von Berta, zog sie nach unten, als ein Soldat sie erschießen wollte, doch sie wurden von den herabfallenden Leichen begraben und deutsche Soldaten stachen auf die Leichen ein, um sicher zu gehen, dass es keine Überlebenden gab. Wie die beiden das überleben konnten, weiß Ada nicht, da auch Berta nicht viel über ihre Vergangenheit preisgab. Ada fand viele Informationen erst durch genaue Nachforschung, die sie auf sich nahm, um Ellis Geschichte erzählen zu können. Das letzte, was Ada weiß, ist, dass Berta überlebte und Elli später wieder traf und Elli sie auch nach ihrer Hochzeit nochmals besuchte.
Thorsten Trautwein überrascht die Geschwister mit handgeschriebenen Begleittexten zu den Zeichnungen ihrer Mutter von 1961, die mindestens 30 Jahre älter als jede gedruckte Version sind. Das Schreiben war für Elli wie eine Therapie, kostete sie jedoch viel Kraft.
Anfangs wollten die Eltern von Alex und Ada nichts von Deutschland hören, noch deutsche Produkte kaufen, Immanuel protestierte sogar gegen die Entschädigungsvereinbarungen von Adenauer und schrieb einen Zeitungsartikel, der im Buch »Erinnerungen aus dunkler Vergangenheit abgedruckt ist. Andererseits wollte Immanuel jedoch nicht, dass die grausamen Schicksale in Vergessenheit geraten und unterschied später zwischen »guten« Deutschen und Nazis.
Als Immanuel die Zeichnungen in einem Museum veröffentlichen wollte, bekam er nicht die Erlaubnis und gab diese deshalb an eine Gedenkstätte. Diese wurden jedoch ohne sein Wissen in einer Enzyklopädie veröffentlicht, worauf er sie zurückverlangte. Adas Mann besuchte das Liebermann-Haus, um Informationen über Max Liebermann zu bekommen, der auch Künstler war, doch ob er mit Ella in Verbindung stand, ist nicht bekannt.
Eine gemeinsame Reise nach Auschwitz gab schließlich den Ausschlag für den Vater, seiner Familie von seiner Vergangenheit zu erzählen, doch Ella behauptete, sie würde sich hauptsächlich noch an Geräusche und Gerüche erinnern könne. Ada vermutet, dass ihr Vater sie vor den grausamen Erlebnissen schützen wollte und deshalb wenig erzählte, doch sie bereut es, nicht nachgefragt zu haben. Die Geschwister machten hauptsächlich Aufnahmen vom Gesang der Eltern, da sie wiederum ihre Mutter vor ihren Erinnerungen beschützen wollten und sie deshalb nicht ausfragten. Später besuchten sie die Straße, in der ihre Mutter wohnte, doch heute steht das Haus nicht mehr. Auch über die Schule bekamen sie keine weiteren Informationen, nur Bilder von einer ehemaligen Klassenkameradin der Mutter.
Als der Sohn von Alex begann, Fragen über die Geschichte seiner Großeltern zu stellen, wurde er zu Ada geschickt, die sich besser erinnerte und Adas Tochter schrieb eine Schularbeit. Adas Sohn macht außerdem regelmäßig Ausstellungen mit den Bildern Ellas. Ada selbst hält Vorträge in Schulen. In Israel wird die Generation der Holocaust-Überlebenden sehr geehrt, bewundert und mit Ehrfurcht betrachtet. Die Familie von Ada und Alex ist sehr vereint und sie ziehen Kraft aus dem Geschehenen, doch werden sie auch heute mit Antisemitismus konfrontiert.
Immanuel Shiber, der Vater von Ada und Alex, war als Offizier in der russischen Armee tätig und kam später zur israelischen Polizei, bevor er Anwalt wurde. Er war ein sehr direkter, dominanter und starker Mensch, seine Frau Ella war das genaue Gegenteil. Die einzige Person, die er fürchtete war Ellas Mutter, die er auch als seine betrachtete und sie während ihres Krankenhausaufenthalts täglich besuchte.
Die Familie besuchte Rosa abwechselnd im Krankenaus, damit sie nie alleine war, bis sie in Alex’ Armen verstarb.
Ihre Cousine bekam einen großen Ausschlag, woraufhin sie sich in die Baracke der Ärztin schmuggeln wollte, da sie diese von zu Hause kannte. Sie wurde erwischt und musste einen Tag lang auf Bohnen und Erbsen knien. Sie und ihre Schwester wollten die Cousine besuchen, aber das war unmöglich. Sie sahen auf dem Weg einen schwarzen Bus, in den man durch ein kleines Fenster schauen konnte und sie sahen, dass der ganze Bus voller nackter Mädchen war, unter anderen ihre Cousine.
Adas Namen ist an den der Großmutter väterlicherseits angelehnt, die Adela hieß. Sie hätte gerne den Namen Adela gehabt, doch dieser wurde in der Geburtsurkunde anders geschrieben. Den Namen Ada bekam sie dann mit 16. Sie ist traurig darüber, diese Großmutter nie kennengelernt zu haben. Alex ist nach seinem Onkel Alexander, Ellas Bruder benannt, von dem es nur ein Foto gibt. Dieses wurde vermutlich aus dem Kanada-Bezirk im Konzentrationslager zur Großmutter geschmuggelt, die es während der Appelle vermutlich im Mund versteckte. Die ganze Familie besitzt eine vergrößerte Version der Fotografie, sowie ein Bild vom Großvater Joshua. Alex betrachtet es als große Ehre, den Namen seines Onkels zu tragen..
Immanuel sprach kaum über seine Mutter, die meisten Informationen erfuhren die Geschwister während des gemeinsamen Besuchs in Auschwitz. Als Ada versuchte, einen Stammbaum zu erstellen, wurde der Vater sauer, als sie über die Verwandten fragte. Vielleicht wollte er seine Kinder, Ella oder sich selbst vor den schrecklichen Erinnerungen schützen. Das erste und einzige Mal vor dem Tod seiner Frau, dass Ada ihn weinen sah, war an einem Denkmal für die verstorbenen Juden. Als sie später mit der blau-weißen Fahne Auschwitz besuchten uns sangen weinte Ada – aber vor Freude und Stolz.