Interview am 1. September 2023 in Shavei Zion, Israel
Amos Fröhlich kam im Januar 1930 in Tuttlingen an der Donau zur Welt. Seine Mutter stammte aus Zürich, sein Vater kam aus Rexingen bei Horb am Neckar. Kennengelernt hatten sie sich auf einer Hochzeit in der jüdischen Gemeinde in Gailingen. Gemeinsam mit seinem Bruder besuchte Amos Fröhlich die Schule im Ort, wo sie die einzigen jüdischen Kinder waren. In Tuttlingen hatten sie lange keine Probleme und kamen gut mit Nachbarn und Schulkameraden zurecht, was anderswo in Deutschland schon nicht mehr der Fall war. Sein Lehrer kam in der SA-Uniform in die Schule. Er erinnert sich, wie die Abneigung den Juden gegenüber während seiner Kindheit immer mehr zunahm. Diese spiegelte sich sowohl in der öffentlichen Stimmung als auch in strenger werdenden Auflagen, die nur der jüdischen Bevölkerung galten, wider. Ein besonders erschreckendes Beispiel für den Hass gegen die Juden war die nationalsozialistische Zeitschrift »Der Stürmer«, der die angebliche Nutzlosigkeit der Juden propagierte und schon früh ihre Vernichtung mit Gas forderte. Trotz allem sah die Familie stets Deutschland als ihre Heimat an, zu der sie sich auch stark verbunden fühlten. Daher waren sie sich zunächst sicher, der Hass gegen die Juden gelte ihnen selbst nicht.
Neben den Auflagen, die den Juden das Leben erschwerten, kamen weitere Ausreisebeschränkungen hinzu. Noch schwieriger war es, in ein anderes Land einzureisen. Amos Fröhlich teilt die deutschen Juden dieser Zeit ein in Optimisten und Pessimisten. Wo die Optimisten endeten, das wüssten wir ja, deutet er an. Obwohl die ersten Pogrome an deutschen Juden schon 1933 stattfanden, nahm die Auswanderung erst drei, vier Jahre später stark zu. Drei Schiffe fuhren ständig zwischen Triest und Haifa, um die Auswanderer nach Palästina zu bringen. Die größte Hürde war für sehr viele Auswanderungswillige aber das Geld. Amos Fröhlich erzählt, wie die geplante Auswanderung bei Familien aus seinem Umfeld schon an fünfzig Mark scheiterte. Besonders problematisch war, dass die Juden keine Käufer für ihren Besitz mehr finden konnten. Interessierte warteten lieber ab, bis es zu Zwangsversteigerungen kam.
Auch Amos Fröhlichs anfangs optimistisch gestimmter Vater erkannte allmählich, dass die Situation sich nicht von allein verbessern würde. So schloss er sich mit anderen Juden aus der Gemeinde zusammen, um ins Land ihrer Väter auszureisen. Gemeinsam planten sie für dort den Aufbau einer Kollektivsiedlung nach dem Vorbild eines Kibbuz. Dieses Vorhaben war insofern einzigartig, dass erstmals ein ganzes Dorf übergesiedelt werden sollte. Ursprünglich war vorgesehen, dass alle jüdischen Familien des Dorfes an dem Projekt beteiligt sein sollten; tatsächlich aber war nur etwa 30 Personen, also weniger als einem Drittel, die Ausreise noch möglich.
Nach ihrer Ankunft in Palästina im September 1938, nur einen Monat vor der Reichspogromnacht, waren Bodenständigkeit und Fleiß ausschlaggebend für einen raschen und geordneten Aufbau der Siedlung. Amos Fröhlich glaubt, dass es von Vorteil war, dass die Leute vom Land kamen und keine Gebildeten waren. Er spricht davon, dass »sogar der Sozialismus […] funktioniert« hat: Jeder teilte mit den anderen, was er konnte und bekam, was er brauchte. Die Kinder verlebten eine schöne Jugend. Die neuen Lebensbedingungen waren jedoch ungewohnt und die Wohnungen primitiv; besonders das heiße Klima machte vielen zu schaffen. Während sich die Jüngeren meist schnell an die Kultur gewöhnten und die Sprache lernen konnten, hatten vor allem ältere Auswanderer ihre Probleme damit. Amos Fröhlich berichtet, wie die Situation speziell für Frauen besonders herausfordernd war. Neben der Bewältigung des Haushalts halfen sie beim Aufbau der Siedlung mit und gingen meist auch später einer Arbeit nach. Umso wichtiger war in dieser Zeit der Zusammenhalt zwischen den Familien, wie sie ihn aus dem Leben im Kibbuz kannten.
Bei der Ankunft war die Bedrohung durch arabische Angreifer so groß, dass noch am selben Abend eine dicke Mauer um das Lager stehen musste. Inmitten des großen Arabischen Aufstands 1936 bis 1939 wurden alle jüdischen Siedlungen in der Region nach der Methode »Ḥoma u'migdal« erbaut, so auch Shavei Zion. Diese Siedlungen waren von Palisaden umgeben und mit einem Wachturm ausgestattet. Leider waren auch die Mauern keine Garantie für hundertprozentige Sicherheit: Amos Fröhlichs Schwester kam später in einer Baracke durch Schüsse von außerhalb ums Leben.
1939 waren bereits 19 Wohnbaracken fertiggestellt. Wichtig hierbei ist es Amos Fröhlich zu erwähnen, dass die Siedlung, wie bis 1948 alle Siedlungen, auf gekauftem Boden erbaut wurde, das Gebiet also nicht erobert wurde. Verkauft hatte ihnen das 63 Hektar große Stück Land eine türkische Prinzessin, deren Mann beim Glücksspiel viel Geld verloren hatte – ausgerechnet im Casino in Baden-Baden.
Hier geht Amos Fröhlich auf die Vorgeschichte zur Staatsgründung Israels und die darauffolgende Zeit ein. Aufgrund der Eskalationen während des Arabischen Aufstands wollte Großbritannien sein Mandat für Palästina loswerden. Der UN-Sicherheitsrat beschloss am 29. November 1947 mit einer Mehrheit von nur einer Stimme, das Gebiet in zwei Staaten zu teilen. Obwohl dieser Plan nicht vorteilhaft war für die dortigen Juden und sogar ihre Existenz gefährdete, – es handelte sich um lediglich eine halbe Million Menschen, umgeben von feindlich gesinnten arabischen Ländern – akzeptierten sie ihn. Wie schon vor dem Zweiten Weltkrieg, der für die Siedler eine vergleichsweise ruhige Phase bedeutete, herrschte nun immer wieder Krieg. Es gab daher große Verluste, aber die Heldentaten der Jugend im Kampf sorgten dafür, dass die Juden überlebten. Als ein Beispiel erwähnt er, wie noch am selben Tag, als der Staat Israel ausgerufen wurde, ihn sämtliche arabischen Länder überfielen. Die Palästinenser wurden aufgefordert, Israel zu verlassen. Nach wenigen Tagen, so versicherte man ihnen, könnten sie zurückkommen und die Juden beerben. Doch das junge Land konnte sich verteidigen und seine Bevölkerung blieb.
Heute, sagt Amos Fröhlich, seien es schlechte Zeit in Israel. Auch andere Zeitzeugen, die die Staatsgründung miterlebten, seien verzweifelt: »So einen Staat haben wir nicht gewollt«, meint er. Verglichen mit der Gründungszeit habe sich vieles verändert.
Die Leistungen der Gründergeneration, der auch Amos Fröhlich angehört, waren erstaunlich: Das Land mit einer Bevölkerung von ursprünglich einer halben Million nahm zu Kriegszeiten mehrere Millionen Menschen auf. Die wenigen Ressourcen wurden mit den Neuankömmlingen geteilt und gleichzeitig wurden neue staatliche Strukturen geschaffen. Mit der Zeit sind daraus aber auch Probleme entstanden. Die Menschen, die das Land aufbauten, waren jedoch überaus selbstlos und wunderbar. Heutzutage werden die Verfehlungen, die von ihnen in dieser Ausnahmesituation begangen wurden, von der Politik ausgenutzt, um dem Gegner Unterstellungen zu machen. Stattdessen sollte man sie für ihre Arbeit würdigen und ehren, findet Amos Fröhlich.
Während der Gründungszeit sind vor allem unbewusst Fehler passiert. Da sich die Jugend den Gegebenheiten vor Ort schneller anpasste als die Generation ihrer Eltern, »überholten« sie diese. Amos Fröhlich bekennt sich selbst mitschuldig und bedauert, dass diese Entwicklungen das Patriarchat schädigten. Trotzdem wurde Israel zu einem einzigartigen Staat mit Einrichtungen für Bildung, Wissenschaft, Entwicklung, Soziales und Sicherheit. Aktuell sieht er das Land aber an einem Tiefpunkt. Neunzig Prozent der Fachleute in den Einrichtungen des Landes seien »auf der linken Seite«, schätzt er.
Gefragt nach seiner eigenen Geschichte holt er zunächst aus: Das Leben in der Siedlung wurde von der Genossenschaft organisiert. Sie übernahm die Leitungsfunktion, hielt Versammlungen ab und bildete verschiedene Ausschüsse. In der Genossenschaft wurden Beschlüsse, beispielsweise in Bezug auf die Bildung der Kinder, gefasst. Wie alle anderen Jugendlichen hielt sich Amos Fröhlich diszipliniert an die Entscheidungen, die so getroffen wurden. Nach seiner Zeit an der Volksschule ging er auf eine Landwirtschaftsschule, die er wegen des Krieges allerdings nur zu einem Viertel besuchte. Anschließend wurde er zum Betriebsleiter von Shavei Zion gewählt und war damit für das Dorf verantwortlich. Zu diesem Zeitpunkt war er zwanzig Jahre alt und saß damit einem Betriebsrat vor, der sonst aus Männern mittleren Alters bestand. Das war eine Ausnahme in ganz Israel, doch er leitete die Siedlung mit großem Erfolg und wurde jedes Jahr wiedergewählt. Seine Eltern zogen wieder für den Sommer nach Deutschland, da der herzkranke Vater die heißen Temperaturen nicht mehr aushielt. Nach fünf Jahren als Betriebsleiter erfuhr er von ihnen von der Möglichkeit, sich für ein Begabtenabitur in Bayern einschreiben zu lassen. Die Entscheidung, zurück nach Deutschland zu gehen, war keine leichte für ihn. In der Annahme, nach drei Monaten zurückzukehren, meldete er sich schlussendlich für ein Abitur im Bereich der Tiermedizin an. Im Studentenwohnheim in München gelang es ihm nach und nach, seine Vorurteile gegenüber den Deutschen wieder abzubauen.
In Deutschland lernte Amos Fröhlich dann auch seine zukünftige Frau kennen. Er sagt selbst, dass diese Geschichte im Nachhinein kaum zu glauben ist: Bei einer Fahrt von Tuttlingen, wo seine Eltern lebten, über die B311 nach Ulm, von wo aus er nach München weiterfahren wollte, sah er bei Herbertingen ein hübsches Mädchen am Straßenrand stehen. Sie hatte dasselbe Ziel wie er und stieg daher ein. Kurzfristig entschlossen sie dann jedoch, nicht nach München, sondern auf die Schwäbische Alb zu fahren. Wie Amos Fröhlich erfuhr, stammte sie aus einer Familie von Tierärzten. Von da an trafen sie sich häufiger und unternahmen Ausfahrten. Mittlerweile sind sie 60 Jahre verheiratet.
Amos Fröhlich wird gefragt, wann er nach Israel zurückkehrte. Sofort nachdem er das Abitur erhalten hatte, entschloss sich die junge Familie – vor einem halben Jahr war ihre erste Tochter zur Welt gekommen – nach Israel zurückzukehren. Dabei hatten sie keine Zweifel an ihrem Vorhaben, was heute sicher anders wäre, wie er selbst sagt. Insgesamt war Amos Fröhlich nicht wie geplant drei Monate fortgewesen, als er im Oktober 1965 wieder in Shavei Zion ankam, sondern ganze zehn Jahre.
Was folgte, war eine sehr arbeitsintensive Zeit für viele Jahre als einziger Tiermediziner Galiläas. Er liebte seine Arbeit und sagte nie nein, wenn jemand um seine Hilfe bat, weshalb er oft erst spätnachts nachhause kam. Wie zur Bestätigung steigt eine Katze auf den Tisch und lässt sich von ihm streicheln.
Mit Unterbrechungen lebt Amos Fröhlich mittlerweile schon 85 Jahre in Shavei Zion in Nachbarschaft zu seinen Verwandten. Gelegentlich geht er morgens sogar noch im Meer schwimmen. Er hat einen Sohn und zwei Töchter, wovon eine jetzt im Haus seiner Eltern lebt.