Vortrag am 26. Januar 2023 in Calw, Deutschland
Als Kind überlebte Ivan Lefkovits die Konzentrationslager Ravensbrück und Bergen-Belsen.
Ivan Lefkovits war sieben Jahre alt, als er mit seiner Familie 1944 verhaftet und ins KZ Ravensbrück deportiert wurde. Mit seiner Mutter wurde er dann später ins KZ Bergen-Belsen überführt. 1945 erlebte Lefkovits die Befreiung des Lagers, der Rest seiner Familie starb. Ab 1956 studierte Lefkovits in Prag Chemie. Studium und Beruf führten ihn über Nepal und Frankfurt nach Basel. Dort half er beim Aufbau des Instituts für Immunologie und arbeitete dort bis zu seiner Pensionierung.
Ivan Lefkovits’ Familie gehörte zur gehobenen Schicht, seine Eltern studierten an der Universität. Doch das war nicht immer so, ursprünglich stammten sie aus ärmeren Verhältnissen. Der Vater eröffnete sofort nach den Zahnarztstudium eine eigene Praxis. Immer freitags behandelte er Patienten kostenlos, die sich keine Behandlung leisten konnten. So war er beliebt im Ort. Auch seine Mutter war gern gesehen, sie arbeitete als Apothekerin. Sie hatte drei Schwestern, die alle den Holocaust überlebten, wohingegen alle neun Geschwister väterlicherseits umkamen.
Familie Lefkovits wurde vernichtet bis auf Ivan und seine Mutter, geborene Strauß.
Ivan Lefkovits studierte nach dem Krieg Chemie in Prag, bekam ein Stipendium in Italien, promovierte, und wollte von Deutschland aus in die USA auswandern. Zusammen mit dem Institutsleiter des Paul-Ehrlich-Instituts, der eine Anstellung bei Hoffmann-La Roche bekam, ging er dann jedoch nach Basel, wo er mit der Schaffung des neuen Instituts für Immunologie beauftragt wurde. 1984 wurde sogar er Schweizer Staatsbürger. Er war »frisch von sozialistischen System weggelaufen«, hatte also keinerlei Erfahrung auf diesem Gebiet und war daher besorgt, beim Aufbau des Instituts Fehler zu machen. Sein Vorgesetzter sagte, er würde die Verantwortung für seine Fehler übernehmen und konnte ihn damit überzeugen, das Institut zu leiten, während er selbst um die Welt reiste und ein Team an Wissenschaftlern zusammenstellte. So wurde das Institut in kürzester Zeit fertiggestellt und konnte schon einige Nobelpreisträger hervorbringen.
Ivan Lefkovits sagt selbst: »Mein Leben hat zwei Bezugspunkte: Die Wissenschaft und den Holocaust.« Während der Zeit in seinem Leben, in der die Wissenschaft die größte Rolle spielte, sprach er nie über den Holocaust, auch nicht zuhause. Er wollte verhindern, auf dessen Basis erfolgreich zu sein. Erst nach seiner Pensionierung konnte er frei über seine Erlebnisse reden, ohne sich Gedanken über die Auswirkungen auf seine Arbeit machen zu müssen.
Die Tschechoslowakei entstand nach dem Ersten Weltkrieg und galt als aufstrebende Demokratie, bis es zur Annexion des Sudetenlands an Deutschland kam. Der slowakische Teil der Tschechoslowakei erlangte Unabhängigkeit, schloss jedoch mit Deutschland einen Schutzvertrag. 1941 wurde der sogenannte »Jüdische Kodex" eingeführt, der an die »Nürnberger Rassengesetze« angelehnt war.
Ivan Lefkovits erzählt eine Anekdote: Der »Jüdische Kodex« machte Ausnahmen für Menschen in Berufen, auf die der Staat angewiesen war. Das traf zu auf seine Eltern. Sie konnten also weiterhin ihren Beruf ausüben und wurden nicht sofort deportiert. Doch auch sie waren von den neuen Gesetzen betroffen, dem Vater wurde etwa seine Praxis weggenommen. Von alldem bekam der drei- oder vierjährige Ivan nur wenig mit. In der Praxis war ein Spieltisch für ihn eingerichtet, den er jederzeit benutzen durfte. Eines Tages wurde er beim Spielen an den Schultern gepackt und nach draußen gebracht mit den Worten »Hier hast du nichts mehr zu suchen". Weinend kam er zu seiner Mutter und erwartete, sie würde ihm zu seinem Recht verhelfen. Sie erklärte ihm, er müsse sich damit abfinden, das Ganze werde wieder vorübergehen. Er rannte zu dem Mann, der ihn fortgeschickt hatte und sagte: »Jetzt gehört es dir. Aber bald wird es uns wieder gehören. Und dann trete ich dir in den Hintern!«
In Ivan Lefkovits’ Buch las der Moderator davon, wie man ihn im Alter von sieben Jahren als Mädchen getarnt nach Ungarn schickte. Dieser bezeichnet das als traumatisches Erlebnis. Seine Eltern hofften, in Ungarn würde es ihnen besser gehen und sie könnten vielleicht gerettet werden. Zuerst reiste der Vater mit gefälschten Papieren aus. Ivan sollte mit dem Pass eines gleichaltrigen Mädchens zu ihm reisen, bevor der Rest der Familie nachkommen würde. Er weigerte sich erst, sich als Mädchen auszugeben, sah dann aber ein, dass es notwendig war. Mit der Bahn gelangte er an die Grenze, wo alles reibungslos verlief – bis ihn der Zöllner nach seinem Namen fragte. »Bis zur Grenze« sei er das Mädchen, »hinter der Grenze bin ich wieder Ivan Lefkovits.« Der Zöllner war entsetzt und schärfte Ivan ein, nie wieder so etwas zu sagen. Er ließ dann aber Gnade vor Recht ergehen und Ivan durfte passieren.
Obwohl er es nach Ungarn geschafft hatte, sollte der Plan nicht aufgehen. Zwar konnte er seinen Vater treffen, doch es würde das letzte Mal sein, dass sie einander sahen. Aufgrund einer Erkrankung schaffte es der Vater nicht mehr in die Slowakei zurück. Ivans Mutter und sein Bruder konnten nicht mehr nachkommen. Er erklärt, dass nach der Besetzung Ungarns durch die Deutschen am 19. März 1944 die Lage zu heikel wurde, sodass er zurückmusste in die Slowakei. Für seine Mutter war das eine enorme Belastung, denn nun musste sie sich nicht nur um ihren älteren Sohn Paul, sondern auch um Ivan kümmern. Ihren gesamten Besitz hatte sie schon verkauft in der Annahme, eine neue Existenz in Ungarn aufzubauen. Ihre Söhne mussten daher in verschiedenen Waisenhäusern unterkommen.
Während dieser Zeit wurden sie von »Madame Elise« unterstützt. Zum einen ist sie eine wirkliche Person, zum anderen steht sie in Ivan Lefkovits’ Buch symbolisch für die vielen Menschen, die der Familie in der schwersten Zeit positiv gegenüberstanden. Sie brachte ihnen zum Beispiel Nahrungsmittel, als sie sich versteckt hielten und war diejenige, die der Familie am nächsten stand. Leider wurde sie auch verhaftet, als Ivan mit seiner Mutter und seinem Bruder verraten wurden und überlebte den Krieg nicht.
Im November 1944 wurde die Familie nach Ravensbrück deportiert. Ivan Lefkovits meint, er erinnere sich viel deutlicher an Gerüche als an Gegebenheiten. In den Waggons mussten die Menschen ihre Notdurft im Halbdunkel verrichten. Außerdem starben Menschen auf der Fahrt. Eine Sache ist merkwürdig für ihn, und damit kommt er bis heute nicht zurecht. Er weiß nicht, wie lange die Fahrt dauerte. In ihren Memoiren sprechen andere Gefangene, die sich mit ihm im Zug befanden, von Zeitspannen zwischen drei und fünf Tagen. Keiner kann eine genaue Angabe machen. Obwohl man sich an Ereignisse erinnert, sagt Ivan Lefkovits, ist die Wahrnehmung der Zeit sehr verschwommen.
An der Rampe am Eingang des Konzentrationslagers wurde die Familie getrennt. Paul, der 13 Jahre alt war, kam zu den Männern, während der siebenjährige Ivan bei seiner Mutter blieb. Ravensbrück war ursprünglich ein reines Frauenlager. Das Konzept dahinter bestand darin, Frauen, die in deutschen Firmen als Zwangsarbeiterinnen eingesetzt wurden und nicht mehr mithalten konnten oder schwanger wurden, nach Ravensbrück zu bringen und neue Arbeitskräfte zu liefern. Für viele kam das einem Todesurteil gleich. In dem Teil des Lagers, in dem Ivan und seine Mutter untergebracht waren, waren jedoch die meisten Deportierte aus der Slowakei. Außerdem war der logistische Aufwand zu groß geworden, streng nach Männern und Frauen zu sortieren und sie in verschiedene Lager einzusperren, weshalb es nun auch Bereiche für Männer in Ravensbrück gab.
Über das Schicksal seines Bruders erfuhr Ivan Lefkovits erst 50 Jahre später, also nach dem Tod seiner Mutter. Für ihn ist es ein Glück, dass sie nie davon wusste. 1995 fand eine Gedenkfeier in der Nähe des Konzentrationslagers Bergen-Belsen statt. Er wurde dort vom Historiker Bernhard Strebel angesprochen, der eine Dissertation über Ravensbrück verfasst hatte und ihm sagen konnte, was mit seinem Bruder geschehen war. Es stellte sich heraus, dass sehr wahrscheinlich schon lange Pläne zur Evakuation des Lagers vorhanden waren. Das Lagerpersonal hatte außerdem eine Baracke provisorisch abgedichtet, die als improvisierte Gaskammer dienen sollte. Die Flaschen mit Gas, das in Auschwitz nicht mehr gebraucht wurde, wurden nach Ravensbrück gebracht, wo eine Selektion stattfand. Mehrere hundert Männer wurden »aussortiert«, darunter auch Paul Lefkovits. In Auschwitz vergast zu werden, wäre schon schlimm genug gewesen, doch in der undichten Baracke in Ravensbrück kämpften die Gefangenen noch eine halbe bis ganze Stunde um ihr Leben, erklärt Ivan Lefkovits.
Von Ravensbrück ging es weiter nach Bergen-Belsen. Die Lager unterschieden sich stark voneinander. »In Ravensbrück war es ganz schlimm. Aber ordentlich schlimm«, so drückt Ivan Lefkovits das aus. Bei den Zählappellen standen die Häftlinge dort von vier Uhr morgens bis 6:30 mit einem Abstand von 90 Zentimetern zueinander in der Kälte. Er durfte sich von seinem vorgegebenen Platz zu seiner Mutter begeben, bis die Protokollanten näherkamen. Dann musste er an seine Position im menschlichen Schachbrett zurückkehren. Nach dem Appell wusste man, was man für den Rest des Tages zu tun hatte. »So pervers es klingt, es gab eine gewisse Ordnung«, sagt er.
Die Evakuierung nach Bergen-Belsen fand unter sehr schlimmen Zuständen statt. Ivan Lefkovits wurde zeitweise getragen von einem Mädchen, das später nach Israel auswanderte. Zählappelle gab es in Bergen-Belsen nicht. Allgemein herrschte totales Chaos. Überall lagen Leichen auf dem Boden, etwas weiter gab es ganze Halden von Toten. Es gab sogar spezielle Häftlingskommandos, die die Leichen von den Wegen schaffen sollten. Teilweise starben die Menschen während dieser Arbeit. Es war gefährlich, hinauszugehen. Manche Menschen hatten sich »in Tiere umgewandelt [...], das wäre eine Beleidigung für die Tiere, es war viel schlimmer«. Sie wollten töten für ein Stück Fleisch und betrieben Kannibalismus, wenn sie es nicht bekamen.
Ivan Lefkovits erinnert sich an keine Baracke mehr in Ravensbrück. Als er einmal mit seiner Frau zum KZ zurückkehrte, suchte er nach der Stelle, an der seine Baracke gestanden hatte, die mittlerweile wie alle anderen zerstört war. Der einzige Ort, den er beim Sonnenaufgang anhand des Horizonts wiedererkannte, war der Appellplatz. In Bergen-Belsen erkannte er nach 50 Jahren nur ein Feuerlöschbecken wieder.
Am 4. April 1945 verließen die Deutschen das Lager, sprengten die Wasserzufuhr und stellten den Strom ab. Das einzige verfügbare Wasser befand sich in dem Löschbecken, in dem Leichen und Exkremente schwammen. Seine Mutter schärfte ihm ein, nicht daraus zu trinken. Diejenigen, die es taten, wurden krank und starben. Einige Männer, die noch etwas bei Kräften waren, kletterten über den Zaun und brachten Kartoffeln mit. Ivan Lefkovits und seine Mutter waren zu schwach, etwas davon zu ergattern, und konnten sich nur mit den übriggebliebenen Schalen die Lippen befeuchten.
Der Moderator zeigt an der Leinwand das Cover des Buches von Ivans Mutter mit dem Titel »Ihr seid auch hier in dieser Hölle?«. Er erwähnt, dass für Ivan die Befreiung eigentlich erst am 17. April kam, zwei Tage nach Ankunft der britischen Armee. Das hängt mit einem anderen Bild auf der Leinwand zusammen, das die Gefangenen dabei zeigt, wie sie aus Schläuchen Wasser zapfen. Ivan Lefkovits selbst bekam das alles gar nicht mit, er war wahrscheinlich schon fast klinisch tot. Seine Mutter konnte allerdings Wasser für ihn besorgen. Jahrelang feierte er mit seiner Mutter den 17. April als den Tag ihrer Befreiung, denn »was soll es, wenn da ein Jeep reinfährt und wieder rausfährt?« – Auf einem anderen Bild sind drei Personen nach der Befreiung zu sehen, die auf dem Boden eine Mahlzeit zubereiten. Im Hintergrund liegen unter den Bäumen übereinandergestapelt Leichen. Ivan Lefkovits und seine Mutter wurden mit der Ambulanz aus dem Lager transportiert in eine ehemaliges SS-Ausbildungsstätte, die die Briten zum Lazarett umfunktioniert hatten. Das Lager wurde schließlich abgebrannt. Heute würde man protestieren, doch damals war es »fantastisches« Spektakel, das von einer Musikkapelle begleitet wurde. Das Lager stand sinnbildlich für das Böse, das nun vernichtet wurde.
Für viele war es die Rettung, endlich ins verhältnismäßig Saubere gebracht zu werden. Dennoch hörte das Sterben nach der Befreiung nicht auf. Vor dem KZ wurde von den Briten eine große Tafel angebracht mit den Worten: »10.000 unbegrabene Leichen wurden hier gefunden, andere 13.000 sind seitdem gestorben.« Viele waren sogar zu schwach, um etwas zu essen. Auf den Boden wurde Sägemehl gestreut, damit die britischen Fahrzeuge keinen Staub aufwirbelten, der für die besonders Schwachen tödlich war.
Im Juli kam Ivan Lefkovits wieder nach Prešow zurück. Nicht alle Überlebenden gingen zurück in ihre alte Heimat, weil oft niemand aus ihrer Familie übriggeblieben war. Teilweise war der Empfang sehr freundlich. Seine Mutter bekam sogar die goldene Armbanduhr zurück, die ihr Vater bei Bekannten deponiert hatte. Andere Leute kamen nach ein paar Tagen zu ihr und sagten: »Frau Lefkovits! Sie sind zurückgekommen. Man hat uns versprochen, dass niemand zurückkommt!« – Die Reaktionen waren also sehr vielfältig, man merkte jedoch, dass niemand so richtig nachvollziehen konnte, was sie erlebt hatten. Bei den wenigen Erklärungsversuchen, die sie unternahmen, war die Reaktion jedes mal dieselbe: Ihre Erlebnisse wurden vom jeweiligen Gegenüber heruntergespielt, sodass sie es schließlich aufgaben, von den Konzentrationslagern zu berichten.
Ivan Lefkovits möchte, dass seine Zuhörer folgendes wissen: Die Slowakei war damals unabhängig. Diese Unabhängigkeit war zwar nicht echt, sondern abhängig von Hitler, doch die Slowakei hatte eine Führung, die verantwortlich war für ihre Zustimmung zur Deportation von Juden. Daher wurde auch der damalige Präsident Tiso nach dem Krieg hingerichtet. Erschreckenderweise zahlte der slowakische Staat Deutschland für jeden deportierten Juden 500 Reichsmark. Anstatt seine eigene Bevölkerung zu schützen, lieferte er sie aus und bezahlte sogar dafür.
Ein weiteres Bild zeigt Ivan Lefkovits mit Jugendlichen in Bergen-Belsen an dem Feuerlöschbecken, das er bei seiner Rückkehr erkannte. Da es zugeschüttet war, fragte er nach, um sicherzugehen, dass er sich nicht täuschte. Mehrmals wurde er dorthin eingeladen, um deutsche Jugendliche zu begleiten, die mit enormem Einsatz das Becken zu seiner Zufriedenheit wieder freilegten.
Der Moderator bittet zwei Jugendliche, Anna und Jonas, auf die Bühne. Anna möchte wissen, ob Ivan Lefkovits aus heutiger Sicht etwas im KZ anders gemacht hätte. Er sagt, dass er später von anderen Häftlingen erfuhr, dass sie sich Spielzeuge gebastelt hatten. Er selbst war unfähig zu spielen. Stattdessen konzentrierte er sich auf den Lese- und Schreibunterricht seiner Mutter, die ihn in die Erde zeichnen ließ. Ansonsten lebte er Tag für Tag. Seine Neugierde trieb ihn dazu, die Baracke zu verlassen und seine Umgebung zu erkunden.
»Die Gefahren erkannte ich nicht, ich akzeptierte sie nur, wenn mir meine Mutter sagte ›Nein, das darfst du nicht.‹« – Rückblickend meinte er, ihm wäre eine Menge Ärger erspart geblieben, wenn er mehr Fragen gestellt hätte.
Jonas fragt, wie wichtig es Ivan Lefkovits sei, dass sich die Jüngeren mit den Geschichten der Holocaustüberlebenden beschäftigen. Dieser bedauert, dass die Zukunft der Erinnerung an persönliche Geschichten nicht nachhaltig genug gesichert sei. Besonders, wenn einmal keine Zeitzeugen mehr am Leben sind, müsse man sich Alternativen ausdenken. Er schätze sehr, dass seine Gegenüber heute anwesend seien, um ihm zuzuhören. Ob die Menschen auch Berichten aus zweiter Hand Aufmerksamkeit schenken würden, frage er sich. Diesbezüglich sei er eher skeptisch.
Auf die Frage, ob er denke, so etwas wie der Holocaust könne nochmal passieren, meint er, dass es immer Genozide geben wird. Aber dass sich etwas vom Ausmaß des Holocausts wiederholen kann, das bezweifelt er. Er empfiehlt jedem, wenn sich die Gelegenheit einmal ergeben sollte, nach vorheriger Absprache einen Zwischenstopp beim »International Tracing Center« von Arolsen Archives einzulegen. Diese Organisation wurde nach dem Krieg von den Alliierten entwickelt, um Überlebende wieder zusammenzubringen. Mittlerweile sind dort 50 Kilometer an Regalen gefüllt mit persönlichen Daten zusammengekommen. Daran erkennt man, wie viele Menschen deportiert oder in Lagern eingesperrt wurden. Ivan Lefkovits hofft, dass ein Völkermord von dieser Größenordnung nie wieder vorkommt. Die Voraussetzungen für einen Holocaust sieht er nicht gegeben.
»Woher nehmen Sie die Kraft und den Mut, den Leuten ihre Geschichte zu erzählen?«, lautet die nächste Frage. Ivan Lefkovits kann sprechen, wenn es aus seiner Seele kommt. Für ihn muss es das richtige Umfeld mit einer Zuhörerschaft sein. Würde er alleine in einem Raum sitzen, könnte er das, was er heute erzählt hat, so nicht noch einmal wiedergeben. Er gibt zu, dass er vermutlich am Abend schlecht schlafen wird. Nach so einer Veranstaltung dauert es meist eine Weile, bis er sich wieder vollständig erholt hat. Er bedankt sich bei seiner Frau dafür, dass sie ihn begleitet.
Der Moderator erinnert sich an eine Aussage von Ivan Lefkovits aus ihrem gemeinsamen Telefonat. Gefragt, ob es Bereiche gibt, die man bei ihm lieber nicht ansprechen sollte, antwortete er: »Es gibt keine wunden Punkte. Alles ist eine Wunde.«