Vortrag am 17. September 2019 in Bad Liebenzell, Deutschland
Philipp Sonntag wurde 1938 geboren und war ein kleines Kind, als Judenhass und Massenmord in Deutschland ihren Höhepunkt erreichten. Aus Verzweiflung nahm sich seine Mutter, die Jüdin war, 1944 mit Gift das Leben. »Sie ist von uns gegangen«, sagte man dem 5-jährigen Philipp. »Warum hat sie mich nicht mitgenommen?« – Diese unbedarfte Frage stellte er sich zunächst und verlor jeglichen Rückhalt. Sein Vater heiratete schnell wieder, eine Arierin, Philipps weitere Kindheit verlief schwierig. Seine Mutter hatte sich das Leben genommen, damit er und sein Bruder leben konnten. Doch vielleicht wäre das so kurz vor Kriegsende gar nicht mehr nötig gewesen. Immer plagten Philipp Sonntag Schuldgefühle – als er älter wurde, verstand er immer mehr Zusammenhänge. Er wurde rebellisch, suchte die Unabhängigkeit, setzte sich dann radikal gegen Gewalt und für den Frieden ein. Mit seinem Jüdischsein wurde er erst viel später konfrontiert: Als er 55 Jahre alt war, sagte ihm eine jüdische Cousine, das er durch eine jüdische Mutter Jude sei und fragte ihn nach seiner Einstellung zu Israel. Philipp Sonntag war als Jugendlicher konfirmiert worden und fühlte sich als Deutscher. Inzwischen war er Vorstandsmitglied der Organisation »Child Survivors Deutschland«, einem Zusammenschluss von Menschen, die als Kinder in der NS-Zeit wegen ihres Judentums beziehungsweise ihrer jüdischen Wurzeln verfolgt wurden. Durch den frühen Verlust seiner Mutter hatte er die verheerenden Auswirkungen des Antisemitismus selbst erlebt.