Interview am 28. März 2017 in Jerusalem, Israel
Ronny Reich gehört der zweiten Generation an. Er wurde 1947 im israelischen Rehovol geboren und wurde ein bedeutender Archäologe. Seine Mutter Herta Reich stammte aus dem österreichischen Städtchen Mürzzuschlag. Sie war die einzige überlebende Österreicherin des Kladovo-Transports. Dieser illegale jüdische Flüchtlingstransport war wegen des frühen Zufrierens der Donau im jugoslawischen Kldovo gestrandet und wurden letztlich von den Nationalsozialisten eingeholt. Die Eltern von Ronny Reich lernten sich auf der Flucht kennen. Die beiden heirateten 1941, doch nach 7jähriger Ehe fiel Ronny Reichs Vater Romek 1948 im Palästinakrieg. Er selbst studierte an der Hebräischen Universität in Jerusalem Archäologie und Geschichte und lebt heute in Modi'in in Israel.
Die Mutter von Ronny Reich stammt aus dem Städtchen Mürzzuschlag in der Steiermark (Österreich). Nach dem Anschluss Österreichs 1938 wurde sie mit 21 Jahren verbannt. Das Vermögen und das Haus wurden arisiert, wie man die Enteignung jüdischer Mitbürger bezeichnete. Die Familie wurde in ganz Europa zerstreut, jedes Familienmitglied verschlug es woanders hin.
Zunächst floh die Mutter durch ganz Österreich, ein Fluchtversuch nach Belgien misslang. Mit einem Donauschlepper kam sie nach Jugoslawien in ein Lager. Dort waren auch junge Juden, die aus Polen, wo inzwischen der Krieg ausgebrochen war, geflohen waren.
Die Menschen wurden dort festgehalten, aber man hat ihnen nichts angetan. Die Mutter verliebte sich in einen der jungen Männer, Ronny Reichs Vater. Beide flohen und das hat ihr Leben gerettet, da die Deutschen wenig später einmarschiert sind. Dabei wurden 1000 Juden getötet. Ältere Juden ließen die Engländer nicht ins Land, aber 200 junge Juden konnten nach Palästina fliehen. Die Flucht der Eltern von Ronny Reich führte sie über Rom. Dort konnten sie in der Nähe auf einem kleinen Bauernhof in der Landwirtschaft arbeiten. Über Ägypten kamen sie schließlich nach Palästina. Die ganze Flucht dauerte sechs Jahre.
Über ihre Fluchterfahrung hat Ronny Reichs Mutter Herta ein kleines Büchlein geschrieben: „Zwei Tage Zeit.“, das recht schnell ausverkauft war. Eines Tages bekamen sie eine E-Mail von dem Bürgermeister von Mürzzuschlag. Dieser fragte an, ob sie etwas dagegen hätten, wenn die Stadt das Gymnasium in Mürzzuschlag nach der Mutter benennen würden. Sie hatten nichts einzuwenden, und wenige Tage nach dem Tod der Mutter wurde das Gymnasium in „Herta-Reich-Gymnasium“ umbenannt. Einmal im Jahr besucht Ronny Reich die Schule und hält eine Präsentation über seine Mutter, ihre Kindheit und Jugend in Mürzzuschlag und ihre Flucht.
In Belgrad gingen junge polnische Juden aus den deutschsprachigen Gebieten am Tag der Bombardierung in die verlassene polnische Botschaft und holten sich dort leere Pässe. In die trugen sie sich als katholische Christen ein, was ihnen auf der Flucht half.
Ronny Reich gehört zur zweiten Generation. Den Holocaust hat er selbst nicht erlebt und zunächst auch von seiner Mutter nichts darüber erfahren. Die ersten Erzählungen hörte er als Kind, als er einen Freund auf ein Familienfoto an der Wand anspricht. Dieser berichtet daraufhin von den Kindern seines Vaters aus erster Ehe, die im Holocaust getötet wurden.
Für Ronny Reich ist es unglaublich, dass es immer noch Menschen gibt, die den Holocaust leugnen. Erstaunlicherweise hatte seine Mutter nichts gegen die junge Generation in Österreich. Sie trennte klar zwischen den Alten, die ihr Unrecht angetan hatten, und den Jungen, gegen die sie nichts hatte. In den 1950er Jahren ging sie einmal nach Österreich, um zu sehen, was aus ihrer Kindheit und Jugend noch übriggeblieben war. In Mürzzuschlag hatte es nur zwei jüdische Familien gegeben, wovon eine keine Kinder hatte. Herta Reich war also ausschließlich mit Christen befreundet gewesen.