Vortrag am 28. Januar 2020 in Wildberg, Deutschland
Ruth Michel hat einen weiteren Vortrag in Bad Liebenzell gehalten, davon gibt es eine weitere Aufnahme.
Ruth Michel wurde im November 1928 in Königsberg (Anm.: heute Kaliningrad) geboren. Als neunjähriges Mädchen floh sie mit ihrer Familie aus Deutschland in das polnische, heute ukrainische Dorf Mikuliczyn nahe der rumänischen Grenze. Sie selbst war nie in einem Konzentrationslager, erlebte den Holocaust aber im damaligen Polen.
Ihr Vater war Jude und ihre Mutter Christin, somit waren sie und ihre kleine Schwester sogenannte Vaterjuden. Während der deutschen Besatzung wurde ihr Vater mit allen anderen Juden aus dem Dorf ermordet. Die Schwester starb später an Tuberkulose. Ruth Michel gelang mit ihrer Mutter die Rückkehr nach Königsberg.
Später wurde sie Zahntechnikerin und lebte inzwischen mit ihrem Mann in der Nähe von Stuttgart. 2010 suchte sie das Massengrab in Mikuliczyn und ließ es herrichten und eine Gedenktafel anbringen. Bis heute lebt in Mikuliczyn kein einziger Jude mehr.
Ruth Michel begrüßt die Anwesenden und bedankt sich dafür kommen zu dürfen. Sie hält ihre Vorträge, um den namenlosen Ermordeten, die während des Holocausts ihr Leben ließen, eine Stimme zu geben, und um zu zeigen, wohin Ausgrenzung, Antisemitismus und Fremdenhass führen können. Ihre Vorträge sind ihr persönlicher Kampf gegen den Antisemitismus. Sie hält es für ihre Pflicht vor Gott und den Ermordeten, denn sie ist eine der Wenigen, die noch von den schrecklichen Taten der Deutschen zur damaligen Zeit berichten kann.
Ruth Michel ist eine sogenannte Vaterjüdin und war nie in einem Konzentrationslager. Sie berichtet über das Geschehen in ihrem Leben als Jüdin während des zweiten Weltkriegs in Mikuliczyn. Als junges Mädchen in einem fremden Land mit fremder Sprache musste sie früh selbstständig werden und lernte sich durchzusetzen.
Ruth Michel schildert den Kriegsbeginn. 1941 wurde Russland von Deutschland überfallen und die Deutschen kamen auch in Ruth Michels neue Heimat. Die Unterdrückung der Juden begann.
Der Vater der inzwischen 13jährigen Ruth Michel floh zu Freunden, um das Leben seiner Familie zu schützen. Er übertrug ihr die Verantwortung für die Familie und so ging ihre Kindheit zu Ende. Ihre erste Aufgabe: für Lebensmittel sorgen. So ging sie mit einer Gruppe Männer in die Berge, um bei den Bauern Lebensmittel gegen Hausrat zu tauschen.
Eine Woche später machte sie sich auf den Weg zu ihrem Vater, der beeindruckt von ihren Leistungen war und sie mit seinem Lob stolz machte.
Es gab Hochwasser in Mikuliczyn und die Dorfbewohner flüchteten zu den Bergbauern, um Schutz zu suchen. Als das Wasser zurück gegangen war und sie weder in das Dorf kamen, war ihr halbes Haus zerstört und der Rest unbewohnbar. Ihre neue Unterkunft wurde ein kleines Häuschen. Die Mutter hielt die Familie mit Näharbeiten über Wasser. Es war ein Lebten zwischen ständiger Angst und Hoffnung.
Am 9.Dezember 1941 ging jedoch jede Hoffnung verloren. Der inzwischen im Sägewerk arbeitende Vater wurde von den Deutschen verschleppt und der Rest der Familie floh in den Wald. Alle Juden aus Mikuliczyn wurden verhaftet, nur Ruth Michel, ihre Mutter und die Schwester blieben verschont. Die Gefangenen wurden in kleine Zellen gesperrt und anschließend mit Lastwägen zu einem Massengrab gekarrt.
Alle Juden mussten sich vor der Grube aufstellen und wurden der Reihe nach erschossen.
Ruth Michel berichtet davon, wie sie das Massengrab 2010 besuchte und es herrichten ließ. Dabei stellt sie ihre Biografie vor.