Papierblatt – Holocaust-Überlebende berichten

Theresa Schwarzmann

Interview am 21. Juli 2013 in Shavei Zion, Israel

Die Bilder, die Theresa schon als Kind mit ansehen musste, verfolgten sie ein Leben lang. Zusammen mit ihrer Mutter und der sechs Jahre älteren Schwester lebte sie in verschiedenen Ghettos und Lagern. Mehrmals war sie Augenzeugin von Massenerschießungen. Die Menschen in ihrer Baracke waren von Krankheiten und Parasiten gezeichnet. Dass sie und einige andere diese Zustände überlebt hatten, ist ihr fast unbegreiflich. Als sie kurz vor Kriegsende zusammen mit ihrer Schwester zu rumänischen Pflegeeltern kam, hatte sie das Gefühl, im Paradies zu sein. Nach dem Krieg kehrte Theresa Schwarzmann in ihre Heimat Tschernowitz (Ukraine) zurück. Nach dem frühen Tod ihres Mannes wanderte sie 1981 nach Israel aus.

Kurzbiografie

Theresa Schwarzmann kam in Tschernowitz in der ukrainischen Grenzregion zu Rumänien zur Welt. Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, war sie sieben Jahre alt. Ihr Vater war Maler. Während die Mutter mit Theresa und ihrer sechs Jahre älteren Schwester in mehreren Ghettos und Lagern (u.a. Mogiljow Podolski und Schmerinka) lebte, verrichtete der Vater auswärts verschiedene Arbeiten für die Nationalsozialisten.

Die letzten Kriegsmonate erlebte Theresa Schwarzmann als Pflegekind in Rumänien. Als der Krieg zu Ende war, kehrte sie mit ihrer Schwester nach Tschernowitz zurück, wo sie zunächst bei Bekannten unterkamen. Mit elf Jahren besuchte sie das erste Mal eine Schule. Als sie 18 war heiratete sie und wurde das erste mal Mutter. Zwischen der Geburt des ersten und des zweiten Kindes lernte sie Buchhaltung, eine Ausbildung, die ihr zusammen mit den reichhaltigen Sprachkenntnissen – Theresa Schwarzmann sprach Jiddisch, Deutsch, Rumänisch, Russisch und Hebräisch – auch nach der Auswanderung nach Israel im Jahr 1981 zugutekommt. Dort lebt sie heute mit ihren Kindern und Enkelkindern. Den Mann verlor sie leider schon mit 42 Jahren.

Inhaltsübersicht

00:00 - 01:40

Vorstellung

Theresa Schwarzmann stammt aus Tschernowitz (auch Czernowitz, ukrainisch Tscherniwzi) einer Stadt in der Ukraine, die im Laufe der Geschichte auch schon zu Österreich und Rumänien gehört hat. Das ist der Grund, weshalb Theresa Schwarzmann Jiddisch, Deutsch und Rumänisch spricht.

Als der Krieg begann, war sie 7 Jahre alt. Es wurde sofort damit begonnen, für die jüdische Bevölkerung in Tschernowitz ein Lager einzurichten. Dort gab es weder zu Essen noch zu Trinken, und auch keine Medizin oder Ärzte. Schon da war ihnen klar, welches Schicksal auf sie warten würde. Sie glaubten nicht daran, dass es wieder besser werden würde.

01:40 - 02:58

Deportation

In diesem Lager waren sie ungefähr drei Monate lang, bevor sie in Viehwaggons gepfercht und abtransportiert wurden. Zum Sitzen war kein Platz, alle mussten stehen. Es gab weder zu essen noch zu trinken. Da es keinen Toiletteneimer oder Vergleichbares gab, machten sie sich gegenseitig auf die Füße.

Sie wurden an einen Ort gebracht, wo man auch Kriminelle festhielt, und der rundherum von Wasser eingeschlossen war, so dass eine Flucht unmöglich war.

02:58 - 03:35

Selektion

Eine Erinnerung, die sie nie vergessen wird, und bei deren Schilderung ihr heute noch die Tränen kommen, ist, wie man Verwirrte und andere Menschen mit psychischen Störungen nahm und sie entlang des Wassers aufstellte. Dann erschoss man sie der Reihe nach, so dass sie ins Wasser fielen. Auf diese Weise erfuhr Theresa Schwarzmann schon früh, was der Tod bedeutet.

03:35 - 04:30

Krankheiten und Parasiten

Im Lager gab es viele Krankheiten und Parasiten wie Typhus, Krätze und Läuse. Die Arme von Theresa Schwarzmann waren ganz zerfressen. Es ist ihr fast unbegreiflich, weshalb sie und einige andere trotz der Bedingungen am Leben geblieben sind.

Die Deutschen kamen 24 Stunden nach der Erschießung der psychisch kranken Menschen.

04:30 - 10:06

Dem Tod sehr nahe

Theresa Schwarzmann erzählt, dass ihre Mutter, als sie aus ihrem Haus getrieben wurden, nichts mitgenommen hatte als ihr Gebetstuch, das ihr als orthodoxer Jüdin insbesondere für das Totengebet sehr wichtig war. Dann kam ein Bekannter, der sagte, heute sei der Todestag seines Vaters. Er forderte die Mutter auf, ihm das Gebetstuch für sein Totengebet zu borgen. Die Mutter gab der Bitte nach und gab ihm ihr Gebetstuch. Danach haben sie diesen Mann nicht mehr wiedergesehen. Um drei Uhr nachts gerät die Mutter außer sich, weil sie denkt, sie habe ihr Gebetstuch im Staub liegen sehen.

Der Vater von Theresa Schwarzmann war Maler und arbeitete zu der Zeit in einer anderen Stadt für die Deutschen, während sie mit ihrer Mutter und der Schwester im Ghetto blieb. Die Rufe ihrer Mutter waren um drei Uhr, und um fünf kamen die Soldaten. Sie nahmen sie mit und brachten sie an einen Ort, wo sie ein Grab ausheben sollten.

Dann braucht Theresa Schwarzmann eine Pause. Das Reden fällt ihr schwer, aber es ist ihr wichtig, die Erinnerungen weiterzugeben, damit auch noch die Kinder und Enkel wissen, wie das damals war.

Als sie das Grab schaufelten, meinte die Mutter, der Tod sei besser als so zu leben. Die drei hatten sich schon mit ihrem Schicksal abgefunden. Der General verteilte die Menschen auf zwei Seiten. Da nahm die Mutter allen Mut zusammen und ging zu ihm hin. Sie bat um Entschuldigung und sagte zu ihm: »Mein Mann wird nicht wissen, wo wir sind, wenn er zurückkommt.« Sie bat den General ihrem Mann mitzuteilen, wo sie sind. Er fragte zurück, wo ihr Mann denn arbeite. Sie gab ihm Antwort, und er sagte zu ihr: »Komm hier auf diese Seite.« Auf der Seite stand auch ihre Tante mit ihrem Mann und den drei Kindern. Dann wurden vor ihren Augen alle Leute erschossen. Sie fielen in den Graben. Es war ein schreckliches Bild.

Es war ein Leben mit ständiger Angst, mit Hunger, wenig Schlaf, all den Krankheiten und den Läusen. Sie war noch ein Kind, das sich fragte, ob es nicht doch besser sei, auch dort in dem Graben zu liegen.

10:06 - 12:47

Ausbeutung durch Ukrainer

Danach musste ihre Gruppe, in der noch kleinere Kinder als sie waren, zu Fuß weitergehen. An ihnen fuhren Ukrainer auf Wagen vorbei. Theresa Schwarzmann berichtet, dass die Ukrainer noch schlimmer als die Deutschen gewesen seien. Wo sie nur konnten, hätten sie ihnen alles geraubt.

Sie selbst konnte schon fast nicht mehr laufen, da sah ihre Mutter einen Wagen am Wegesrand stehen. Sie setzte ihre Tochter mit den letzten Habseligkeiten hinein und gab dem Ukrainer die Ohrringe, die sie noch hatte. Die Eltern liefen derweil weiter.

Doch dann kamen andere Ukrainer, die alles an sich nahmen und die Kinder aus den Wagen herauswarfen. Die Eltern hörten ihre Kinder schreien. Ihre Mutter rief nach ihr, immer wieder »Theresa, Theresa!« Theresa Schwarzmann klammerte immer noch ihr Gut an sich und legte sich weinend unter einen Baum, wo die Mutter sie schließlich fand. Sie kann sich noch gut an ihre Freude erinnern, als die Mutter sie fand.

12:47 - 14:00

Bilder, die man nie mehr vergisst

Dann mussten sie weiterlaufen. Es war sehr anstrengend, immer wieder fiel Theresa Schwarzmann hin. Bis sie schließlich nach Mogiljow Podolski (Ukraine) kamen, einem zentralen Ort, wo man die Juden zusammenfasste.

Sie schildert, wie sie in den Baracken einer neben dem anderen wie die Ölsardinen in der Dose geschlafen haben. Der Typhus habe alle Barackenbewohner erfasst und es seien lebende Skelette herumgelaufen, die sich kaum auf den Füßen halten konnten. Dieses Bild verfolgt sie noch heute. Das sei ein Anblick, den man einfach nie mehr vergessen könne, meint Theresa Schwarzmann.

14:00 - 15:46

Die Zeit im Ghetto Schmerinka

Dann hat man sie in das Ghetto Schmerinka (Ukraine) geschickt. Theresa Schwarzmann wurde wegen ihrer blonden Haare und den blauen Augen oft für eine Christin gehalten. So konnte sie vor das Ghetto gehen, und dort um Kartoffeln und andere Lebensmittel zu bitten. Es gab auch unter den Ukrainern sehr gute und hilfsbereite Menschen, aber andere drohten ihr, sie zu verraten. Theresa Schwarzmann glaubt, dass es überall im Leben immer gute und schlechte Menschen geben wird. Dabei wäre es schön, wenn es nur noch gute Menschen geben würde, dann gäbe es keine Kriege mehr.

In Schmerinka war die Familie sehr lange. Die Mutter arbeitete in der Kaserne. Die sechs Jahre ältere Schwester kam mit und half ihr bei der Wäsche. Auch Theresa Schwarzmann wurde mitgenommen, weil die Mutter Angst hatte, sie allein zu lassen.

15:46 - 18:20

Bei rumänischen Pflegeeltern

Ein Jahr vor Kriegsende kamen Abgesandte des jüdischen Komitees in das Ghetto, die Waisenkinder nach Rumänien herausführen sollten. Auf diesem Weg kam Theresa Schwarzmann zusammen mit ihrer Schwester nach Fălticeni (Rumänien), wo es viele Juden gab. Jedes Kind kam zu einer anderen Familie. Sie selbst kam zu einem rumänischen Anwalt und ihre Schwester zu einem Arzt. Sie wohnten zwar nicht zusammen, aber sie konnten sich regelmäßig sehen.

Für Theresa Schwarzmann war es wie im gelobten Land, sie konnte essen und sich waschen. Sie sagt, sie werde diese Menschen, und was sie für sie getan haben, niemals vergessen. Und trotzdem hatten die Geschwister Heimweh nach ihren Eltern. Dabei wussten sie noch nicht einmal, ob sie noch am Leben waren.

Als die russische Armee in Rumänien einzog, ging die Schwester zu einem Offizier und bat ihn, sie nach Tschernowitz mitzunehmen. Er war äußerst freundlich und brachte sie tatsächlich in ihre Heimatstadt, bis vor das Haus, in dem die Familie gewohnt hatte.

Das Haus war zwischenzeitlich besetzt worden, aber Bekannte nahmen die beiden Mädchen bei sich auf.

18:20 - 20:47

Nachkriegszeit – mit 11 Jahren in der ersten Klasse

Der 9. Mai (1945), sagt Theresa Schwarzmann, ist für sie der größte Tag in ihrem Leben. Die Eltern waren noch nicht da. So blieben sie zunächst bei den Bekannten in Tschernowitz.

Zum Kriegsende war Theresa Schwarzmann elf Jahre alt und besuchte zum ersten Mal in ihrem Leben eine Schule. Sie war für die erste Klasse ein großes Mädchen. Jeder musste sieben Jahre zur Schule gehen, danach wechselten viele auf das Technikum. Aber Theresa Schwarzmann war nach der Volksschule schon 17 Jahre alt und wechselte nicht mehr auf das Technikum. Sie lernte einen Mann kennen, der aus dem Krieg zurückkam, und der sie heiraten wollte. Doch als er bei der Mutter um ihre Hand bat, sagte diese, sie sei noch nicht mit Lernen fertig, es sei noch nicht Zeit zum Heiraten. So lernte Theresa Schwarzmann erst noch bei ihrer Mutter und heiratete dann mit 18. Mit 19 Jahren war sie schon das erste Mal Mutter.

20:47 - 27:00

Schwieriger Neubeginn in Israel

Als der Sohn zwei Jahre alt war, ging sie nochmals auf die Schule, um Buchhaltung zu lernen. Sie sagt, das war sehr gut, dass sie diese Ausbildung noch gemacht habe. Sechs Jahre später bekam sie noch eine Tochter. Der Mann von Theresa Schwarzmann starb mit 50 Jahren an Krebs. Mit 42 Jahren war sie schon Witwe. Als der Sohn heiratete, war der Mann bereits sehr krank und von 90 Kilo auf 30 abgemagert. Der Sohn zog nach Israel, wo er in der Armee diente.

Nach dem Tod ihres Mannes stürzte Theresa Schwarzmann. Eines ihrer Beine war kürzer als das andere. Ein Schulkamerad von ihr, der berühmte Professor Ilizarov, hatte einen Apparat zur Beinverlängerung entwickelt, der auch ihr half. Mit diesem Apparat musste sie zwei Jahre gehen. So konnte sie erst drei Jahre nachdem ihr Sohn nach Israel gezogen war, im Jahr 1981 mit ihrer Tochter, deren Mann und dem vier Monate alten Sohn nachkommen.

Beide Kinder waren schon verheiratet. Allein fiel ihr der Neubeginn in Israel sehr schwer. Es gab zu der Zeit nicht viele Kurse, wo man die Sprache lernen konnte.

Theresa Schwarzmann lebte in Netanja. Sie besuchte dann nochmals einen Buchhalterkurs, zu dem sie weit fahren musste. Anschließend arbeitete sie in einem Altenheim. Es half ihr, dass sie neben Rumänisch und Jiddisch auch Deutsch konnte, denn in dem Heim lebten viele ältere Juden, die aus Deutschland Renten und Pensionen bezogen. Es gab somit immer viele deutsche Formulare auszufüllen. Hebräisch, heute ihre erste Sprache, hat sie erst in Israel gelernt. Manchmal hat sie das Gefühl, dass alle Sprachen sich in ihrem Kopf vermischen.

In dem Altenheim hat sie zehn Jahre gearbeitet. Sie wohnte in einer Einzimmerwohnung mit Küche und Dusche in Netanja. Die Tochter zog mit ihrem Mann, einem Bauingenieur nach Berscheba. Sie wollten gerne, dass Theresa Schwarzmann mit ihnen kommt, aber zum einen sagte ihr das Klima in Berscheba nicht zu, und zum anderen wollte sie gerne in der Nähe des Sohnes bleiben.

27:00 - 30:36

Stationen in Israel

Nach der Zeit im Altenheim hat sie zwei Jahre in einem Krankenhaus für psychisch kranke Menschen gearbeitet. Doch dort konnte es sie es nicht lange aushalten. Sehr viele der Insassen waren in den Lagern der Nationalsozialisten inhaftiert gewesen, und zusammen mit ihren eigenen Erinnerungen war es einfach zu viel für sie. Sie war zu dem Zeitpunkt 60 Jahre alt. Danach arbeitete sie noch vier Jahre in einem Bekleidungsgeschäft. Es war die Zeit nach 1990, als viele Russen nach Israel kamen. Nun war es für Theresa Schwarzmann von Vorteil, dass sie auch Russisch konnte. Die Arbeit im Verkauf und unter Menschen gefiel ihr. Das hat sie bis 1997 gemacht. Zu dem Zeitpunkt meinte ihr Sohn, der zwischenzeitlich in Karmi`el wohnte, er habe keinen Helikopter und sie solle doch zu ihm ziehen. In Netanja lebte auch ihre Schwester mit ihrer großen Familie, weshalb sie von dort eigentlich nie fortwollte. Aber nachdem die Schwester gestorben war, willigte sie ein, zu dem Sohn nach Karmi`el zu ziehen. Dort begann sie ehrenamtlich zu arbeiten. Das gibt ihr auch heute noch die Motivation, aktiv zu sein. Inzwischen lebt sie schon 15 Jahre dort.

30:36 - 34:44

Shavei Zion

Nun ist Theresa Schwarzmann schon das dritte Mal in Shavei Zion zu Besuch. Auch sie bekommt jeden dritten Monat eine Zahlung aus Deutschland. Als sie das erste Mal zu Gast in Shavei Zion war, war noch nicht alles so schön hergerichtet wie jetzt, meint sie. Sie fühlt sich wohl und findet es toll, wie sich die Menschen hier engagieren. Sie seien außergewöhnlich höflich und hilfsbereit. Mehrfach sagt Theresa Schwarzmann, dass sie gar nicht weiß, mit welchen Worten sie ihnen danken könne. Sie fügt nur an, dass es sehr gut gewesen wäre, wenn es solche Menschen damals zur Zeit Hitlers gegeben hätte. Warum Gott es so gefügt hat, weiß sie nicht, aber heute freut sie sich über ihre Enkelkinder, ihre Freunde, ihre Wohnung und ihr Leben.